Kilian Looser: «Genau so war es»

veröffentlicht am Donnerstag, 04.09.2014

Südostschweiz


Kilian Looser: «Genau so war es»

 

NESSLAU. Der Toggenburger Gemeindepräsident und Kanti-Whistleblower Kilian Looser kommt nicht zur Ruhe. Er zeigt erstmals den Ort, wo er die Dokumente fand, welche den Kanti-Streit ausgelöst haben. Und er erzählt, was damals im Haus Nüssli auch noch liegen blieb.

 

Regula Weik

 

So hatte er sich das nicht vorgestellt. Nicht in den verwegensten Träumen. Kilian Looser, Gemeindepräsident von Nesslau, ist das «Leck» in der Kanti-Debatte. Er hatte den Medien regierungsinterne Informationen zur Standortfrage der Kantonsschule zugespielt – und wurde deswegen gebüsst. Wegen Amtsgeheimnisverletzung. «Ich habe einen Fehler gemacht. Dazu stehe ich», sagt Looser. Er wartet vor dem Haus Nüssli. Dem «Tatort». Hier hatte die St. Galler Regierung im Frühling getagt. Hier hatte Looser die vertraulichen Papiere gefunden.

 

«Sie blieben auf der Kommode im Sitzungszimmer liegen», sagt er. So habe er auch bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt. «Eine spezielle Erfahrung – ich wurde zum ersten Mal in meinem Leben verhört.» Mehr zu sagen habe er nicht. Dennoch ist, auch nachdem er an die Öffentlichkeit getreten war und sich als Whistleblower geoutet hatte, keine Ruhe eingekehrt. Der bisher letzte Akt in diesem Schauspiel: Ende vergangener Woche lag ein Schreiben der Regierung in Loosers Briefkasten; er wird darin auf die «Eröffnung eines Disziplinarverfahrens» hingewiesen. Er schüttelt den Kopf: «Ich habe nie geleugnet, was ich gemacht habe. Ich wurde gebüsst. Warum ist die Sache damit nicht abgeschlossen?»

 

Zweifel an der Schilderung?

Der Regierung reicht das nicht. Sie will Klarheit darüber, wie die Dokumente «den engen Kreis der Adressaten verlassen» und in die Hände von Looser gelangen konnten. Sie hat nach den Sommerferien eine Administrativ- und eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet – mit dem Ziel, die Indiskretion «lückenlos» aufzuklären (Ausgabe vom 13. August). Zum einen werden Mitarbeitende der Verwaltung durchleuchtet, zum andern wird «das Verhalten involvierter Behördenmitglieder» untersucht.

 

Dies bedeute doch nichts anderes, «als dass die Regierung an meiner Schilderung des Sachverhalts zweifelt», sagt Looser. «Das ist befremdend.» Nun stehe er wie ein Lügner da. Ist er das? Er verneint. Es sei genau so gewesen, wie er es geschildert habe: Er habe die Papiere im Sitzungszimmer gefunden. Er habe das «nie zu vertuschen versucht». Und was ist an der kursierenden Version, die Dokumente seien ihm per Mail zugespielt worden? «Das heisst es?», fragt er zurück. «Nein, die Papiere lagen auf der Kommode.»

 

Haus abgeschlossen

Looser führt ins Sitzungszimmer im ersten Stock. Die Räume sind niedrig. Besucher tun gut daran, den Kopf einzuziehen. So wie wohl auch die Regierung an jenem Morgen im April «gebückt» zur Landsitzung eingetreten ist.

 

Es ist früher Morgen. Gemeindepräsident Looser begrüsst die Gäste aus der Pfalz, weist auf Kaffee und Getränke im Nebenraum hin und verlässt dann das Haus Nüssli, um seiner Arbeit im Gemeindehaus nachzugehen. Kurz nach zwölf Uhr kehrt er zurück, wartet auf die Gäste, um sie zum Mittagessen in den «Ochsen» zu begleiten. Der Apéro ist auf 12.30 Uhr bestellt. Looser schliesst das Haus ab.

«Ich war informiert, dass die Sitzungsteilnehmer nach dem Mittagessen nicht mehr ins Haus Nüssli zurückkehren würden», sagt Looser. Die Regierung sei nach Sitzungsende tunlichst darauf bedacht, dass nichts liegen bleibe – erst recht bei auswärtigen Sitzungen. Es sei schon «überraschend», dass Dokumente angeblich vergessen wurden, sagt Staatssekretär Canisius Braun (Ausgabe vom 6. August).

 

Schrift nach unten

Beim Mittagessen stellt ein Mitglied der St. Galler Delegation fest: Es hatte Mantel und Mappe im Haus Nüssli vergessen. So brechen Looser und zwei Delegationsmitglieder nach dem Mittagessen nochmals zum Haus Nüssli auf. Looser schliesst auf, kehrt allein ins Sitzungszimmer zurück, packt Mappe und Mantel – er liegt auf der Kommode – , schliesst das Haus wieder ab und übergibt die beiden «Fundgegenstände» dem wartenden Besitzer und seinem Begleiter. Sie verabschieden sich, Looser kehrt ins Gemeindehaus zurück.

 

Das Haus Nüssli gehört der Gemeinde Nesslau. Sie nutzt das Sitzungszimmer für eigene Sitzungen, aber auch für Ziviltrauungen. Mitarbeitende der Verwaltung bringen den Raum nach Anlässen jeweils wieder in Ordnung, räumen Gläser weg, rücken Stühle zurecht. So auch am Nachmittag nach der Landsitzung der Regierung. Und wie üblich wirft auch der Gemeindepräsident auf dem Nachhauseweg – «es dürfte zwischen 17 und 17.30 Uhr gewesen sein» – einen Kontrollblick in die Räume und entdeckt dabei auf der Kommode im Sitzungszimmer einen Stapel Papiere. Die vertraulichen Dokumente der Regierung.

«Die Papiere waren umgedreht, die Schrift nach unten», sagt Looser. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Looser spielt die Information über die Existenz einer bislang nicht bekannten Studie den Medien zu, und er ruft die kantonale Verwaltung an und orientiert sie über seinen «Fund», einen unvollständigen Ausdruck einer regierungsrätlichen Mail und Unterlagen der Regierung zum Thema Kantonsschulstandort. Die Studie, welche Uznach gegenüber Wattwil als Schulstandort favorisiert, war nicht dabei.

 

Zwischen andern Gegenständen

Looser deutet auf die Kommode. Die Papiere hätten zwischen anderen Gegenständen auf der Kommode gelegen, einem Papierablage-Fach, dem Gästebuch und einer gerahmten Zeichnung des Einheimischen Paul Bösch; im Sitzungszimmer hängen mehrere Skizzen von ihm, eine Schenkung. Hat er die Dokumente wirklich erst am Abend entdeckt und nicht bereits am Nachmittag, als er den vergessenen Mantel holte? Er habe Mantel und Mappe gepackt und den Raum gleich wieder verlassen – «es musste rasch gehen».

Looser schaut ratlos in die Ferne. «So war es.» Er bereue sein Verhalten, das habe er auch dem Staatsanwalt gesagt. Die neuen Untersuchungen der Regierung verstehe er jedoch nicht. «Mein Verhalten hatte keine Folgen für ihren Standortentscheid.» Und dann: «Ich war etwas naiv.»


Kilian Looser: «Genau so war es» (Donnerstag, 04.09.2014)

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