Donnerstagskolumne: Was Wattwil lehrt

Was Wattwil lehrt

Von Frédéric Zwicker

Noch immer tobt die Debatte um den optimalen Standort der Kantonsschule. Soll sie in Wattwil bleiben? Soll sie ins Linthgebiet verlegt werden? Sollen Schülerinnen und Schüler aus Rapperswil-Jona in Pfäffikon zur Schule? Als ehemaliger Schüler der Kanti Wattwil will ich gerne meine Erfahrung teilen.

Haben Sie die Kanti Wattwil schon einmal gesehen? Die Architekten Otto Glaus und Heribert Stadlin haben sie Ende der 60er-Jahre entworfen. Der Sichtbetonbau sollte an einen Bergkristall erinnern. Das war stets einer der grossen Witze unter uns Schülern. Das Resultat kam einer Tropfsteinhöhle nämlich näher.

Nach Wattwil fährt der Kantischüler von Rapperswil aus knapp eine halbe Stunde mit dem Zug. In Schmerikon verabschiedet er sich vom See, in Uznach von schöner Altstadtarchitektur und in Kaltbrunn von frischer Luft, akzeptablen Temperaturen, angenehmem Dialekt und vom Tageslicht. Wenn er auf der anderen Seite des Rickentunnels ins Freie rollt, weiss er: Er ist jetzt in einer anderen, dunkleren Welt.

Es war damals ein steter Kampf der Regionen unter uns Schülern. Für beide Seiten lag die jeweils andere «hinter dem Ricken». Es war allerdings auch ein Kampf mit ungleichen Spiessen. Zu offensichtlich waren die Vorzüge unserer Rickenseite. Noch der ungeschickteste Disputant konnte mit dem Argument «See» den toggenburgischen Lokalpatrioten ihr Maul stopfen.

Wir Schweizer sind privilegiert. Es geht den meisten von uns besser als fast dem gesamten Rest der Welt. Etwas Verständnis, Rücksicht und Mittleid mit minderprivilegierten Nationen bewahren uns unsere Menschlichkeit. Denn: Auch ärmere Menschen, die unter ärmlicheren Umständen leben, können sehr nett sein. Auch wenn sie eine komische Sprache sprechen. Als Kantonsschüler aus dem Linthgebiet lernt man diese Lektion am besten in Wattwil.