«Ein Pfeiler unserer Gesellschaft»

veröffentlicht am Freitag, 07.03.2014

St. Galler Tagblatt

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«Ein Pfeiler unserer Gesellschaft»

Das Toggenburg wehrt sich gegen die Forderung, die Kanti Wattwil sei ins Linthgebiet zu verlegen. Dabei geht es nicht nur um Schülerzahlen und Fahrzeiten: Die Region befürchtet kulturell und wirtschaftlich einen schweren Verlust.

WATTWIL. Unvermittelt ist die Kantonsschule Wattwil Gegenstand eines politischen Seilziehens geworden. Die Regierung prüft für den Neubau der Schule Alternativen zum heutigen Standort. Das weckt Begehrlichkeiten im südlichen Kantonsteil: Jenseits des Rickens verlangen Politiker und Wirtschaftsvertreter, dass die Kantonsschule ins Linthgebiet verlegt wird. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Forderung laut wird– und erneut wird sie mit den Schülerzahlen begründet. Die meisten der rund 750 Kantonsschüler würden im Linthgebiet wohnen. Heute stammt ein Drittel der Kantonsschüler aus dem Toggenburg, zwei Drittel reisen aus Rapperswil-Jona und dem übrigen Linthgebiet an. Befürworter einer «Kanti Linth» sammeln derzeit Unterschriften für ihr Anliegen.

 

Zentral im Einzugsgebiet

Im Toggenburg kommt die Haltung der südlichen Nachbarn schlecht an. Die Kantonsräte der Region stellen sich geschlossen hinter die Kanti Wattwil, ehemalige Schüler haben eine Petition zum Erhalt des Schulstandorts gestartet. Zunächst sind da die geographischen Argumente: Wattwil liege zentral im Einzugsgebiet der Kantonsschule, von überall her sei sie mit dem öffentlichen Verkehr innert weniger als einer Stunde zu erreichen. Würde der Standort beispielsweise nach Rapperswil-Jona verlegt, wäre das für manche Gemeinden im Toggenburg nicht mehr der Fall.

 

Preisgekrönte Orchester

Doch längere Schulwege sind nicht der einzige Grund, warum die Toggenburger den Verlust der Kantonsschule unbedingt verhindern wollen. «Die Kanti ist weit mehr als eine Schule», sagt der Wattwiler Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner. «Sie ist ein markanter Pfeiler unserer Gesellschaft. » So habe die Kanti unter anderem eine hohe kulturelle Bedeutung für die Region.

Beispiele hierfür sind zwei preisgekrönte Musikensembles, welche die Schule beherbergt, die Big Band und das klassische Orchester «il mosaico». Die Big Band holte bereits zweimal den Titel «Beste Schweizer Nachwuchs-Big-Band». «il mosaico» hat als eines der führenden Schweizer Jugendorchester bereits eine Reihe von nationalen und internationalen Auszeichnungen erhalten und blickt auf Auftritte in Japan, den USA, Brasilien und zahlreichen europäischen Ländern zurück.

 

«Es käme zu einem Bruch»

Daniel Blatter, Geschäftsführer des Vereins Kultur Toggenburg, sagt: «Es gibt wohl keine andere Kanti im Kanton, die sich im musischen Bereich auf einem derart hohen Niveau bewegt wie die Kanti Wattwil.» Jährlich finden etwa 20 grössere Veranstaltungen wie Musicals oder Theateraufführungen statt, welche die Kanti in Zusammenarbeit mit anderen Toggenburger Kulturinstitutionen auf die Beine stellt. Diese Qualität sei über Jahrzehnte aufgebaut worden; sie hänge mit der Initiative einzelner Personen und dem Netzwerk vor Ort zusammen, sagt Blatter. «Schulräume lassen sich problemlos an einen neuen Standort verlegen. Mit kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften verhält es sich etwas anders.»

Blatter und Gunzenreiner verwenden beide dasselbe sprachliche Bild für die Situation: «Eine Pflanze, die über Jahre gewachsen ist, kann man zwar ausreissen und verpflanzen. Doch ob sie im neuen Boden ebenso gut weiterlebt, ist fraglich.»

Martin Gauer, Rektor der Kantonsschule Wattwil, sagt es noch deutlicher: «Wenn die Kanti in ein anderes Gebiet verlegt würde, käme es im kulturellen Bereich zu einem Bruch.» Am neuen Standort begänne die musische Aufbauarbeit von vorne – «mit ungewissem Ausgang».

 

Mehr Standortvorteile im Süden

Auch die Toggenburger Wirtschaft verfolgt die Diskussion um die Kantonsschule mit Sorge. Die regionale Arbeitgebervereinigung hat in einem offenen Brief an die Regierung für den Schulstandort Wattwil plädiert. «Wenn die Kanti ins Linthgebiet verlegt wird, wächst das Ungleichgewicht zwischen den beiden Regionen», sagt Präsident Ruedi Bannwart. Das Linthgebiet sei eine Boomregion, der es an Standortvorteilen nicht mangle – tiefe Steuern, Wohnlagen in Seenähe und so weiter. «Das Toggenburg hat demgegenüber weniger Trümpfe zu bieten. Um so wichtiger ist es, dass wir diese in der Hand behalten. » Weiterführende Schulen wie eine Kanti seien Faktoren, die helfen würden, auswärtige Fachkräfte und Kaderleute mit Familien für die Region zu gewinnen.

Als vor Jahrzehnten der Standortentscheid für die Kantonsschule Wattwil gefallen sei, habe das Linthgebiet im Gegenzug die Hochschule für Technik bekommen, hält Bannwart fest. «Und als kürzlich das neue Forschungszentrum für die Hochschule zur Debatte stand, haben wir von der Arbeitgebervereinigung Toggenburg die Bauvorlage unterstützt.» Nun dürfe man auch vom Linthgebiet erwarten, dass es den regionalen Ausgleich bei der Verteilung der Bildungsinstitutionen weiterhin respektiere.

Einstweilen setzt die Regierung ihre Evaluation verschiedener Standorte für den Kanti-Neubau fort. Die Ergebnisse sollen im April vorliegen.


«Ein Pfeiler unserer Gesellschaft» (Freitag, 07.03.2014)

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